Äusserst knapp, mit Stichentscheid der Präsidentin, hat die staatspolitische Kommission (SPK-N) letzten Herbst eine Motion zur Aufhebung eines diskriminierenden Verfassungsartikel eingereicht. Die SPK-N will auf Bundesebene neu allen volljährigen Schweizer:innen die politischen Rechte zugestehen. Heute sind gemäss Art. 136 der Bundesverfassung Menschen, die wegen dauernder Urteilsunfähigkeit unter umfassender Beistandschaft stehen, von politischen Rechten ausgeschlossen. Sie dürfen weder wählen noch abstimmen.
Nationalrat setzt ein klares Zeichen
Im Nationalrat zeigte sich ein anderes Bild. Mit 109 zu 68 Stimmen, bei 16 Enthaltungen, votierte die grosse Kammer dafür, dass diese Diskriminierung endlich aufgehoben wird. Gegen die Stimmen der SVP und der in der Frage gespaltenen FDP setzten sich die übrigen Parteien (einstimmig, ohne abweichende Voten) durch. Damit folgt der Nationalrat den Beispielen der Kantone Genf und Appenzell Innerhoden, die Menschen unter umfassender Beistandschaft das Wahl- und Abstimmungsrecht bereits gewähren.
Auch Menschen mit umfassender Beistandschaft können sich eine eigene Meinung bilden
Eine umfassende Beistandschaft bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Personen nicht in der Lage sind, sich eine eigene Meinung zu bilden und ihre politischen Rechte auszuüben. Keine andere Bevölkerungsgruppe unterliegt einer solchen Einschränkung und rigorosem Ausschluss von der Wahrnehmung ihrer politischen Rechte. Die Koppelung von Massnahmen aus dem Erwachsenenschutzrecht, die einer kantonalen Umsetzung unterliegen, lassen sich nicht mit politischen Rechten auf Bundesebene verbinden. Auch die SPK-N erachtete mit ihrer Motion, dass der betreffende Verfassungsartikels überholt und nicht mehr mit dem zeitgenössischen und gesellschaftlich weitverbreiteten Verständnis von Behinderungen und psychischen Krankheiten vereinbar ist.
Ein wichtiger Schritt, doch der Weg ist noch lang
ARTISET und INSOS begrüssen und unterstützen, dass alle Menschen mit Behinderungen ihre politischen Rechte wahrnehmen können. Das Votum des Nationalrats ist ein klares Signal für die politische Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen unter umfassender Beistandschaft. Nun ist der Ständerat an der Reihe. Stimmt er der Motion ebenfalls zu, arbeitet der Bundesrat einen Vorschlag zur Neuformulierung des betreffenden Artikels aus. Nach einer erneuten Runde des bundesrätlichen Vorschlags im Parlament wird schliesslich das Volk über die Verfassungsänderung befinden.